Billy May
„Mit Billy May eine Platte aufzunehmen, ist so, als bekäme man einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet.“ Dieses Zitat stammt von keinem geringeren als Frank Sinatra. Und es beschreibt sehr treffend die Arrangierkunst des Mannes aus Pittsburg, Pennsylvania, dessen Instrumentierungen stets vor musikalischen Einfällen und Gags nur so sprühten und die den Zuhörer immer wieder auf’s Neue verblüffen. So werden wir immer wieder über das Ende von „On The Road To Mandalay“ auf „Come Fly With Me“, Sinatras erster gemeinsamer Produktion mit May, stolpern, wenn ein riesiger Gong am Schluss das abrupte Ende des Songs markiert und gleichzeitig die exotische Stimmung genial einfängt. Im selben Moment legte May den Finger an die Lippen und bedeutete allen im Studio, ruhig zu sein...er hatte in diesem Augenblick den bis dahin wohl ausgefallensten Schluss eines „Schlagers“ gefunden.
Das Album beschreibt Sinatras und Mays ganzes musikalisches Spektrum von hartem Swing („Brazil“) bis zu romantischen Streicherballaden („Moonlight In Vermont“) und landete auf Platz 1 der Pop-Album-Charts.
Aber das obige Zitat Sinatras ist sicher auch auf die Umstände während der Aufnahmen mit dem wohl schnellsten Arrangeur Hollywoods bezogen, der auf seine unglaublich schnelle musikalische Auffassungsgabe vertraute und desöfteren noch während der Proben im Studio die letzten Arrangements fertigstellte.
Aber Billy May ist bis heute zweifellos auch der experimentierfreudigste seiner Zunft und in seinem Genre. Der Einsatz von Instrumenten, die bei dieser Art von Musik sehr unüblich sind, wie Waldhörner, Tuben, Bassons, Oboen oder Harfen und deren ganz ungewöhnliche Kombination mit den „Standardinstrumenten“ eines Unterhaltungsorchesters ist sicher ein Geheimnis des typischen „Billy-May-Sounds.“ Ein weiterer liegt sicher in dem Wesen des genialen Musikers und Arrangeurs, sich und seine Arbeit nie ganz ernst nehmen zu wollen. Ständige Tempi-, Dynamik- und Rhythmenwechsel an Stellen, wo man sie übnerhaupt nicht erwartet, der Einsatz von allen möglichen exotischen Perkussionsinstrumenten, wie den Gong, Klanghölzer, Tam Tam und alle Sorten von Glockenspielen, zeichenen ein Billy-May-Arrangement aus und machen es unverwechselbar explosiv.
Geboren am 10.11.1916, lernte Billy zunächst Klavier, bis er es nach zwei Jahren langweilig fand und zur Posaune umstieg. Aus Interesse machte er sich schon während seiner Schulzeit mit den Funktionsweisen und dem Tonumfang verschiedenster Instrumente vertraut, was ihm später als Arrangeur von grossem Nutzen sein sollte.
Er entstammt der Big-Band-Ära und hatte bereits mit 17 sein erstes professionelles Engagement in der Band von Gene Olsen. Als er seinen Posaunenpart bald auswendig konnte, brachte er sich selbst (!) aus Langeweile (!) das Trompetespielen bei, das fortan sein Hauptinstrument wurde.
May kam im Februar 1939 zur berühmten Band von Charlie Barnet, in der er auch seine ersten Schritte als Arrangeur machte und die weltberühmte Version von „Cherokee“ schrieb, die Barnets Erkennungsmelodie wurde. Zu dieser Zeit spielte übrigens Bill Miller Klavier bei Barnet..
Ab Oktober 1940 führte er den Trompetensatz des Glenn Miller Orchesters an und steuerte auch einige Arrangements bei. Er blieb, bis Miller die Band 1942 auflöste und zur Armee ging.
May wusste mittlerweile, dass seine Zukunft im Arrangieren lag und so ging er danach als Studio-Arranguer zur NBC und ab 1943 nach Kalifornien, wo er heute noch mit seiner Frau Doris lebt. In Hollywood sass er bald als musikalischer Leiter der Radiosendungen von Bing Crosby, Red Skelton und anderer fest im Sattel. In dieser Zeit schrieb er auch aushilfsweise in Vertretung von Axel Stordahl Titel für Sinatras Radio-Show „Your Hit Pararde" (z.B. „Don’t Fence Me In“).
Auch in der Film-Industrie fasste er schnell fuss und komponierte für Zeichentrickfilme mit dem „Kater Sylvester“ und „Tweety“ soweie „Duffy Duck“ die Musik. Überhaupt war er mit seinem ausgewachsenen Sinn für Humor sehr geeignet für Kinderproduktionen. In seiner Zeit bei Capitol (ab 1951) produzierte er nicht weniger als 60 Kinderplatten, was Capitol zum Marktführer auf diesem Feld machte.
Bei Capitol hatte er schnell seine eigene Studioband, mit der er bis 1954 auf Tournee ging, bevor er sie an Ray Anthony verkaufte. Freilich hat er trotzdem weiter mit vielen Musikern aus der Band bei Studioproduktionen zusammengearbeitet. Unverwechselbarer Sound Mays wurden die „schlürfenden Saxophone.“ Das bedeutet, das ein Ton nicht direkt angespielt, sondern von unten hochgezogen wird. Neu war daran, dass dies nicht von einem Solisten allein, sondern vom ganzen Satz gemacht wird.
May, der stets ein sehr gutes kollegiales Verhältnis zu seinen Musikern unterhielt, wurde nach dem Erfolg einiger instrumentaler Tanzplatten zu einem der gefragtesten Arrangeure Hollywoods. Es ist leichter, Namen von Sängerinnen und Sängern aufzuzählen, mit denen er nicht zusammenarbeitete und so findet sich die Crème de la Crème unter den Künstlern, die seine musikalische Umrahmung geniessen durften: Frank Sinatra, Sammy Davis jr. Dean Martin, Nat King Cole, Bing Crosby, Ella Fitzgerald, Peggy Lee, Mel Tormé etc.
Mays wichtigstes Markenzeichen bleibt ohne Zweifel sein wunderbarer Humor. Wer sonst hätte wohl Instrumente und Musiker am Ende von „They All Laughed“ auf „The Past“ von „Trilogy“ in schallendes Gelächter versetzen können?
© Tim Bialek für Frank Sinatra – The Main Event, 2001